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china — brücke e.V.

Plädoyer für einen konstruktiven Umgang mit China

Eine Grundregel des erfolgreichen Umgangs mit Geschichte und Politik wurde schon von dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus vor rund 2000 Jahren formuliert: „Sine ira et studio“ schreibt er in seinen Annalen, solle man sich der Geschichtsschreibung widmen. Über Jahrhunderte haben Philologen und Historiker über die angemessene Übersetzung dieses Postulats gestritten. Ohne „Zorn und Ereiferung“ könnte eine für unsere Zwecke ausreichende Übersetzung sein. 

Ohne Wut auf China über China nachzudenken und ohne den Eifer, das Land nach unserem Muster verändern zu wollen, an Chinapolitik heranzugehen, könnte eine so schlechte Lösung eigentlich nicht sein. Denn es gilt eine einfache Regel: Niemand ist gezwungen China zu mögen, aber niemand kann es sich leisten, China zu ignorieren. Wir werden Wege finden müssen, mit diesem Land konstruktiv umzugehen, nicht nur um Konflikte zu vermeiden, sondern auch, um unsere eigenen Wirtschaftsinteressen zu verfolgen, ohne unsere eigenen Werte zu verleugnen und natürlich auch, um gemeinsam mit China globale Probleme zu lösen. 

Denn dies ist ebenfalls eine Binsenweisheit: Ohne China lassen sich die allermeisten globalen Probleme eben nicht lösen. Um mitzuhelfen, diese mannigfachen Herausforderungen auf dem Weg des konstruktiven Dialogs einer Lösung näher zu bringen, ist die China-Brücke gegründet worden. 

Im Jahr 2022 blickten Deutschland und China auf 50 Jahre offizielle diplomatische Beziehungen zurück. Niemand hätte im Jahr 1972 gewagt zu prognostizieren, wie sich die bilateralen Beziehungen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, aber auch weit darüber hinaus entwickeln würden. Deutsche Unternehmen waren in China außerordentlich erfolgreich, aber auch die politischen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen haben eine erhebliche Vertiefung erfahren. Mit Fug und Recht kann Deutschland von sich behaupten, zu dem wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Partner Chinas in Europa geworden zu sein. 

Trotz dieser unbestrittenen Erfolgsbilanz sind die bilateralen Beziehungen derzeit in einer schwierigen Phase. Die zunehmende Kritik an China setzte schon vor Jahren ein, zunächst im Bereich der wirtschaftlichen Diskussionen wegen anhaltender Abschottungsmaßnahmen auf dem chinesischen Markt für internationale Unternehmen. Diese Chinakritik hat sich in den letzten Jahren immer stärker vom wirtschaftlichen Bereich in den Bereich der Menschenrechtspolitik verschoben. 

Hier stehen unterschiedliche Wertvorstellungen einander scheinbar unversöhnlich gegenüber. Sie bilden das Kernproblem der Chinadebatte: Werte sind nicht verhandelbar, lassen sich nicht durch Kompromisse überwinden und bieten deshalb den Resonanzboden für einen Fundamentalkonflikt, der letztendlich die konstruktive Suche nach Problemlösungen in allen Politikfeldern zu behindern droht. In all diesen Fragen müsste ein konstruktiver und respektvoller Dialog darauf ausgerichtet zu sein, Brücken zu bauen, die es beiden Seiten erlauben, sich in der Mitte zu treffen ohne das eigene Ufer außer acht zu lassen. 

Mittlerweile gehört es zu den typischen rhetorischen Pflichtübungen, das jeweilige bilaterale Verhältnis zu China in der Begriffstrias „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ zu fassen. Während je nach individueller Bewertung die ersten beiden Begriffe in der Reihenfolge austauschbar sind und so unterschiedliche Gewichtungen erkennbar machen, wird in wachsendem Maße ein Schwerpunkt auf die Perspektive der systemischen Rivalität gelegt. Dies ist als solches nicht neu und verlangt ein pragmatisches Management bilateraler Beziehungen trotz fundamentaler Systemunterschiede und Interessengegensätze. 

Deutsche und europäische China-Politik ist ohne den unmittelbaren Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika nicht verstehbar. Seit Jahren verfestigt sich in den USA eine zunehmend kritische, sowohl von Republikanern als auch von Demokraten geteilte, letztlich antagonistische Chinapolitik, die wenig Spielraum für konstruktive Lösungen zu lassen scheint. Hoffnungen und Aufrufe zu einer gemeinsamen transatlantischen Chinapolitik scheitern allerdings bislang an den offensichtlichen Interessengegensätzen zwischen den USA und einem in sich noch einmal vielfältig differenzierten Europa. 

Eine Abkopplung von globalen Lieferketten, oder gar eine Zweiteilung der Weltwirtschaft aufgrund politischer Gegensätze stellt eine der wesentlichen Bedrohungen für die Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik Deutschland dar. 

Was folgt aus diesen Überlegungen? 

Eine erfolgsorientierte Chinapolitik muss darauf setzen, China besser zu verstehen, ohne alle chinesischen Positionen zu billigen oder gutheißen zu müssen. Sie kommt nicht ohne ein besseres Verständnis der Interessenlage Chinas und eine größere Chinakompetenz auf westlicher Seite aus. 

Eine erfolgsorientierte Chinapolitik muss darauf verzichten, durch symbolische Politik und radikale Rhetorik vordergründig auf den billigen innenpolitischen Applaus zu setzen. 

Eine erfolgsorientierte Politik erkennt an, dass es trotz einer Vielzahl von zum Teil fundamentalen Unterschieden und Interessengegensätzen auch gemeinsame Interessen in wirtschaftlichen und globalen Fragen gibt.

Eine erfolgsorientierte Chinapolitik braucht einen langen Atem, sie darf nicht von kurzfristigen und taktischen Überlegungen geprägt sein, sondern muss in dem Bewusstsein angelegt sein, dass Dialoge mit China immer anstrengend, schwierig, langwierig und nicht selten frustrierend, aber dennoch letztlich ohne Alternative sind. 

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider